Uralte Traditionen der Bauern- und Bürgerschützen

 

Breckerfeld war seit jeher Grenzgebiet, wo die Machtbereiche der Rheinpfalzgrafen und des Arnsberger Hauses aneinanderstießen. Die alten Landwehren oder Erdwälle, die später Berg und Mark voneinander schieden, sind heute noch im Südwesten unseres Stadtgebietes zu finden. Doch konnten die politischen Grenzen nicht auch die Bevölkerung von Berg und Mark absolut voneinander trennen. Märker und Bergische heirateten untereinander. Erbteilungen und Käufe wurden abgewickelt. Wer bergisch oder märkisch war, bestimmte sich nach der "Nationalität" der Mutter; war sie z. B. märkisch und nicht ins bergische Recht umgewechselt, war auch das Kind märkisch.

Im Märkischen und Bergischen gab es daher "exterritoriale" Leute. Sie nahmen eine Sonderstellung ein, weil sie dem alten Landesherrn verpflichtet waren, obwohl sie im "Ausland" wohnten. Insbesondere waren sie ihrem Landesherrn zum Aufgebot für Wacht und Fehde verpflichtet. Der Ruf zu den Waffen ertönte mit dem Glockenschlag von den Kirchtürmen. Ihm hatten die Einwohner der hiesigen märkischen Landgemeinde, aber auch die märkischen Ausländer Folge zu leisten. Die letzteren hatten sich an der Landesgrenze oder "voer" (= Obfohrt) einzufinden. Sie vereinigten sich dann mit den Innenmärkern zur gemeinsamen Landwehr.

Alle Waffengattungen mögen vertreten gewesen sein, angefangen vom einfachen Knüppel über Speer, Pike, Armbrust bis zur Büchse.

Der Glockenschlag war der Waffenruf, der seit jeher in den alten Grafschaften gegolten hatte. 1379 sollte für die Bergischen diese Grafschaftsperiode beendet sein, ab 1380 wurde Berg Herzogtum. Von dieser Zeit an hatten die Landesherren, der Graf Engelbert von der Mark und der Herzog Wilhelm von Berg, neue Abmachungen über die "Exterritorialen" und damit auch über den Glockenschlag zu treffen. Aus dem geschichtlichen Dunkel der Grafenzeit läßt sich das Jahr 1379 daher als letztlich sicheres, wenn auch nicht als frühestes Datum für die Aufgebotspflicht der örtlichen Bevölkerung beanspruchen. Der angestrebte Vergleich über die Stellung der "Ausländischen" sollte sich hinziehen bis 1389. Der Glockenschlag aber blieb den Märkern und Bergischen hüben und drüben als Ruf zu den Waffen erhalten.

Den Breckerfeldern müssen Schußwaffen schon früh durch Kaufleute und Reisende der Hanse bekannt geworden sein, deren Route über Breckerfeld nach Köln führte. Schließlich werden die Waffenschauen, die durch die aufziehenden Landwehren geboten wurden, ein übriges zur Einführung der Donnerbüchse getan haben.

Die kriegerischen Aufzüge erforderten Formationen, Aufgliederungen nach Waffengattungen. Die Schützen dürften sich bald, und auch schon 1379, vom allgemeinen Haufen ausgenommen und einen besonderen Teil der Wehrorganisation gebildet haben. Diese ersten Breckerfelder Schützen waren noch eine ungeteilte Gruppe, die der Heeresfolgepflicht für die Landgemeinde oder das Kirchspiel unterlag. Der Schützensammelplatz konnte - wie die gemeinsame Kirche - nur in der geografischen Mitte der Gemeinde gelegen haben. Der Kirchspielbrink, kurz Spielbrink genannt, war dieser Platz, auf dem auch spätere Schützen ihre Feste feierten; er lag zentral, in der Nähe der heutigen Fabrik Vagedes, und war von den umliegenden Ansiedlungen schnell zu erreichen.

Mit der Privilegierung, der Verleihung der Stadtrechte, wurde die Kirchspielseinheit aufgehoben. Aus der Landgemeinde wurde ein Flecken oder eine "Insel" herausgehoben und gesondert gestellt. Der neue Stadtbezirk war genau umgrenzt. Ab 1396 unterschied man daher die Bürgerschaft und die Landbevölkerung, bzw. die Stadt und das Kirchspiel. Gemeinsam blieb beiden Bevölkerungsgruppen die Zugehörigkeit zu ihrer Pfarre und ihrem Go-Gericht. Ansonsten waren sie aber getrennt worden. Jede Gemeinde hatte daher ihre eigene Verwaltung, die Stadtväter auf der einen und die Kirchspielsbediensteten auf der anderen Seite.

Dieser Dualismus Stadt - Land muß auch die gemeinsame Schützentruppe in Breckerfeld getrennt haben. Denn nun war am Ort mit der Bürgerschaft eine Institution geschaffen, die dem Landesherrn selbständig zur Heeresfolge verpflichtet war. Die Städter schieden aus der gemeinsamen Landwehr der Grafschaft (des Amtes) Altena aus. Von nun an wurden die Stadt- und Landwehren jeweils für sich aufgeboten. Beispiel dafür ist die später noch erwähnte Heeresverpflichtung, nach der die Stadt Breckerfeld ein eigenes Aufgebot und auch das Amt Altena, zu dem auch Breckerfeld gehörte, noch weitere Leute zu entsenden hatte.

Welche Bedeutung die Schützen auch für die eigene Verwaltung hatten und wie sehr sie einen Faktor für das Allgemeinwohl darstellten, geht aus den Stadtstatuten hervor.

Nach Punkt 15 des Privilegs durften Schützen gesetzt werden, wenn das nötig erschien. Diese Bestimmung kann nur stadtinterne Angelegenheiten betroffen haben, nicht aber das Kriegsrecht, das dem Landesherrn immer vorbehalten war. Es lag nahe, die Schützen in eigener Sache immer dann anzufordern, wenn etwas durchzusetzen oder massiver Druck auszuüben war. Im Zwangsverfahren gegen hartnäckige Schuldner oder im Polizeiwesen konnten die Schützen den Stadtvätern eine wirkungsvolle Hilfe sein. In diesen Bereichen sind die Schützen auch in späterer Zeit tätig gewesen. Immerhin war es schon eine große Gunst, wenn der Landesherr der neuen Stadt Breckerfeld die Erlaubnis erteilte, die für die Heeresfolge aufzubietenden Schützen auch innerstädtisch einsetzen zu dürfen.

Für die Stadt Breckerfeld jedenfalls begann nun eine eigene Schützentradition. Den alten Spielbrink haben die Stadtschützen nun übernommen, denn er lag noch im Stadtbezirk und nicht in der Landgemeinde.

Damit hatten die Breckerfelder Landwehr- oder Bauernschützen, die noch innerhalb der Altenaer Landwehr verpflichtet waren, ihren örtlichen Übungs- und Versammlungsplatz verloren. Einen gleichwertigen anderen Ort werden sie schnell gefunden haben. Die Anhöhe Königsheide entsprach in ihrer Lage genau den Vorstellungen der Bauernschützen. Denn der Treffpunkt ihrer Amtsschützenkollegen in Lüdenscheid, mit denen sie auf dem dortigen Vogelsberg zusammenkamen, war ähnlich beschaffen. Beides waren Erhebungen, die einen weiten Ausblick ins Land erlaubten, wo sich die Schützen ungestört wußten.

Auf dem Vogelsberg schossen sie auf den Vogel, auf der Königsheide taten sie dasselbe, wenn sie ihre Könige ausschossen. Der Name Königsheide muß Anfang des 15. Jahrhunderts aufgekommen sein, als es Brauch wurde, hier jedes Jahr die Schützentradition der Bauern zu pflegen. Eine andere Königsbeziehung, etwa die Vergabe der Freigerichtsbarkeit durch den König, kann diese Flur nicht haben, denn der Breckerfelder Freistuhl lag in Epscheid beim dortigen Teufelsloch und wurde im 16. Jahrhundert noch "dat Vembleck" genannt.

Außerdem fehlen für Königsheide sämtliche Anzeichen, die uralte Gerichtsstätten kennzeichnen, wie Freiplatz, Steinsitze und Bänke; auch eine Linde ist hier nicht zu finden, die alt genug wäre, um für ein Königsgericht gepflanzt worden zu sein. Königsgerichte wurden nach 1100 nicht mehr neu vergeben. Die Nähe zum Sonnenscheiner Galgen kann an dieser Beurteilung nichts ändern, denn hier entstand die städtische Hinrichtungsstelle um 1400. Für Königsheide und Dörnen ist zudem eine Bauernschützentradition nachzuweisen. Hier wohnten die Familien Hackenberg, aus denen die Bauernführer oder Vorsteher stammten, die vor und nach 1700 an der Spitze der Bauernschützen standen.

Neben der Pflicht zum kriegerischen Einsatz hatten die Schützen eine zivile Aufgabe, wie sich aus dem Stadtprivileg ergibt. Auf dem Gebiet des Polizei- und Ordnungswesens scheinen sich die damaligen Schützen schon landesweit bewährt zu haben. Sonst hätten z. B. die Plettenberger nicht ohne weiteres und mit den Breckerfeldern fast gleichzeitig auch dasselbe Schützen-Setz-Recht erhalten. Von der Landgemeinde Breckerfeld hatte man daher eine Ordnungseinrichtung übernommen, die sich zur Stärkung der Verwaltung eignete.

Auch die Landbewohner werden ihre eigenen Schützen weiterhin an der Selbstverwaltung beteiligt haben. Der wehrhafte Schützenstand war allgemein aufgewertet und stand bei der Obrigkeit in hoher Gunst. Mit dieser Wertschätzung muß das Schützenwesen einen großen Aufschwung genommen haben, war man doch gewiß, höheren Orts Verständnis für die eigenen Belange voraussetzen zu können.

Von nun an wird der Glockenschlag nicht nur für den Notfall, sondern auch zum Probeschießen für Bauern- und Bürgerschützen aufgerufen haben. Beide Gruppen werden regelmäßig geübt haben. Getrennt pflegten sie ihre Traditionen, das Wettschießen auf ein bestimmtes Ziel, das als bunter Vogel ausgestattet war. Für die Bürgerschützen erwähnt diese Tatsache eine alte Stadtrechnung, als 1450 der Schreiber notierte: "do dey Schutten schotten dey Papagoye".

In der Festgestaltung dürften die Landbewohner aber nicht nachgestanden haben, zählten doch die Einwohner in den Bauernschaften zu den einflußreichsten Breckerfeldern jener Zeit. Hansekaufleute aus Epscheid, Altenbreckerfeld, Wahnscheid usw. hätten sich so leicht nicht von anderen Schützengemeinschaften überbieten lassen.

Es entsprach der Schützenehre, zu dem festlichen Auftreten ein prächtiges Gewand anzulegen und einen schmucken Hut zu tragen. In der genannten Stadtrechnung ist vom Schneiderlohn für das Anfertigen der Hüte die Rede: "gegeven van den Schutten Kogelen to makene - 1 Gulden". Auch den Stoff dafür hatte man übernommen und dafür "gegeven vor dat Laken to den Schutten Kogelen 9 1/2 Gulden". Je einheitlicher die Kleidung, umso geschlossener wirkte die Formation; bunte Hüte werden den wirkungsvollen Eindruck noch deutlicher unterstrichen haben.

Die Schützenbewegung muß in Breckerfeld um 1450 allgemein von der ganzen Bevölkerung getragen worden sein, eine Beschränkung auf einen Verein ist nach den Belegen nicht zu erkennen. Denn die Stadtväter zahlten die Gesamtkosten für Hüte, sie kauften Pulver, schafften eine neue Büchse an und ließen eine andere reparieren. Was aus dem gemeinsamen Säckel bestritten wurde, mußte die Billigung der Einwohner finden können. Die Trägerschaft der Stadt für die Schützen geht am besten aus einer Rechnungsnotiz von 1449 hervor: " . . dat wij der Bussen in dat He(e)r nicht voren en drofften . . ." Man zeigte sich also erleichtert, als ihre Büchsen nicht in das Landesheer eingebracht zu werden brauchten und ließ dafür auch 1 Gulden und 1/2 Mark "springen". Eine solche Fürsorge hätte man für den Waffenbestand von Vereinsschützen wohl niemals aufgebracht. Die Stadt unterhielt also die eigene Schützengemeinschaft. Nur einigen Personen, etwa einem Verein, wäre diese Finanzierung nicht zuteil geworden. Der Aufwand erscheint auch zu hoch, um sie als Abfindung - etwa als Gegenleistung für die Erledigung einer Aufgabe - ansehen zu können.

Die Förderung seitens der Stadt läßt daher eher auf eine Schützengemeinschaft aus der städtischen Bürgerschaft schließen.

Die Mitgliedschaft in der Schützengemeinschaft kann daher keinem bestimmten engen Personenkreis vorbehalten gewesen sein. Sonst hätte dieser Umstand vor allem bei den Bürgerschützen Berufungen weiterer Kreise nach sich gezogen, und standesorientierte Clubs wären gegründet worden. In den Berufssatzungen der ansässigen Handwerker wäre dies zum Ausdruck gekommen. Aber die Gildebriefe von den Bäckern (1464) und den Stahlschmieden (1463) kennen derartige eigene Schützenvorrechte oder -bestrebungen nicht.

Auch bei den Bauernschützen können keine Unterschiede gemacht worden sein, denn gerade auf dem Lande war der Gemeinsinn ausgeprägt. Hier hielten sich die Nachbarschaften, die ursprünglich auch wehrhafte Züge hatten, am längsten; zum Teil bestehen sie heute noch.

Der Bestand der Schützengemeinschaften ist im 15. Jahrhundert wohl nie gefährdet gewesen. Immer wieder gab es Anlässe, den Glockenschlag ertönen zu lassen. Nach einem Ritterzettel des 15. Jahrhunderts hatte Breckerfeld in einer Fehde gegen Lüttich 20 Mann Fußvolk für das cleve- märkische Aufgebot zu stellen. Dazu hieß es außerdem, es sollten "Schütten mit Handbussen, Harnisch, isernen Hoit und Schilt soviel wie möglich aufgeboten werden". 1482 hatte Breckerfeld 12 Mann zu Fuß aufzubringen, als Herzog Johann II gegen Erzherzog Maximilian von Oesterreich zu Felde zog. Das Amt Altena hatte aus der Landbevölkerung weitere 20 Mann zu stellen. 1489 ist den Bergischen in Breckerteld der Glockenschlag als Waffenruf noch als übliche Maßnahme bekannt.

In irgendwelche Fehden war Cleve-Mark meistens verwickelt, und jedesmal mußte dem Landesherrn "Schützenhilfe" geleistet werden. 1521 war zwar Jülich-Berg mit Cleve-Mark vereinigt, und die bergisch- märkischen Reibungspunkte entfielen. Aber dafür war das vergrößerte Cleve usw. jetzt ein ausgedehntes Land geworden, und anstelle kleinerer Händel traten kriegerische Verwicklungen auf, die man mit Handstreichen der einberufenen Bauern- und Bürgerschützen nicht mehr allein bewältigen konnte. Im Laufe der Jahre sollte der Ruf nach stehenden Söldnerheeren nicht mehr verstummen.

Anfangs des 16. Jahrhunderts sahen die Schützen noch den engen Zusammenhang zwischen Schützenpflicht und Schützengunst. Wegen ihres kriegerischen Einsatzes waren sie für den Landesherrn unentbehrlich. Das Schützenwesen mit seinem Brauchtum entfaltete sich daher ungehindert. Das jährliche zünftige Fest blieb ihnen unbenommen. Hierauf hatten sie ein Recht, und sie legten es gar als persönlich anerkannt aus. In Breckerfeld wurde von Generation zu Generation erzählt, der Landesherr selbst habe ihren Schützen diese Auszeichnung zukommen lassen. Bürger- und Bauernschützen stimmen in dieser Überlieferung überein.

Doch in dieser Form wird es niemals geschehen sein. Denn eine Sondervergünstigung wäre nach dem Brauch der damaligen Zeit in einem Privileg festgehalten worden; ein derartiges Schriftstück aber haben die westfälischen Schützen nie besessen. Auch die Breckerfelder Schützen können hierin keine Ausnahme gebildet haben, sonst hätten sie sich derartige Briefschaften bei Verlust oder Wechsel des Landesherrn erneuern lassen, wie es z. B. die Bäcker und Stahlschmiede in Breckerfeld oft getan haben.

Mit der mündlichen Überlieferung, der Landesherr habe ihnen das Vogelschießen für ihre geleistete Schützenhilfe erlaubt, hat sich wohl nur das Wesentliche aus der uralten Tradition in Erinnerung gehalten: die allgemeine Heeresfolgepflicht und die damit verbundene Duldung und Ausbreitung der Schützenfeste, die man sich selbst als erkämpft anrechnete. Immerhin hat man eine Tatsache weitergegeben, die den engen Bezug zum Landesherrn erkennen läßt und als uralte Tradition nur in der Zeit des 14./15. Jahrhunderts angesiedelt werden kann.

Diese tiefen Wurzeln läßt besonders die Entstehung von Gruppen der Junggesellenschützen erkennen, z. B. 1388 in Bochum. Bei der Heeresfolge unter dem Glockenschlag war der Familienvater, Bauer oder Bürger, besonders benachteiligt, wenn er lange Zeit von Haus und Hof fernbleiben mußte. Es lag auf der Hand, die unliebsame Heerespflicht auf die Ungebundenen, die jungen und unverheirateten Männer, zu übertragen. Wer in der Schützengemeinschaft anerkanntes Mitglied werden wollte, hatte als Junggeselle zunächst den unangenehmeren Teil des Schützendaseins kennenzulernen. Es ist daher nicht verwunderlich wenn besonders die Junggesellenschützen in ihrer Überlieferung die Waffenhilfe für den Landesherrn und dessen Erlaubnis zum Vogelschießen erwähnen. Der Ausgangspunkt für eine Vereinigung von Junggesellenschützen ist daher auch im alten Landesaufgebot zu suchen, das schon vor 1396 geleistet werden mußte. Die Junggesellenschützen werden in diesem Jahr und noch eher zur Landwehr gehört haben, wenn auch nicht als Verein. Es erscheint daher nicht abwegig, die alte Tradition auch für das Breckerfelder Schützenwesen in Anspruch zu nehmen. Wie die hiesigen Breckerfelder Junggesellenschützen sich auf ein angenommenes Gründungsjahr beziehen, können auch die Bauernschützen, die aus dem alten Landesaufgebot hervorgegangen sind, die uralte Tradition als Mutter ihrer Vereinigung ansehen.                 


Quelle: Festschrift zum Jubiläum 1979 von Armin Voß