Der Verein in der neuen Zeit

1900 geht das Kirchspiel in der Landgemeinde Breckerfeld auf. Damit verliert der Verein seinen Träger und "öffentlich-rechtlichen" Charakter. Eine herbe Enttäuschung wurde 1905 das Heranziehen des Vereins zur Vergnügungssteuer. Nur mit Murren zahlte man den "Musik- schein" von 21,50 Mark.

 Die Schützengesellschaft ist jetzt nur noch Privatverein der Bauern. Zwar werden nach alter Übung die Führerwahlen noch bis 1910 öffentlich durch den Amtmann der Gemeinde bestätigt, aber ab 1921 ist der Verein sich dann selbst überlassen. Von nun an werden Generalversammlungen abgehalten, und im Verein ist an die Stelle des Führers der Vorsitzende, zugleich auch Kassierer, getreten.

Aus den Friedenszeiten ab 1871 ff übernahm der Verein einen "abgerüsteten" Umzug. Die Bauernschützen traten nicht mehr mit der Büchse zum Marschieren an. Nur der Büchsenmeister führte symbolisch noch sein Gewehr im Zug mit. Es ging bürgerlich-feierlich zu. Üblich war das Voranmarschieren einer Kapelle. Unter ihren Klängen begann der Umzug sich vom Vereinslokal in Breckerfeld aus in Bewegung zu setzen. Es folgten die Vorreiter und dann der Führer und Stellvertreter zu Pferde. Im Zug hatten zunächst die Führer und dann in den 1930er Jahren die Hauptmänner das Kommando, ihnen standen noch die Adjutanten zur Seite. Die Schützen wetteiferten um den schönsten Festschmuck. Als die Büchse nicht mehr mitgeführt wurde, nahm der Wanderstock diesen Platz ein. Zunächst war es ein frisch geschnittener Zweig mit Maiengrün. Dann wurde er mit bunten Bändern, Blumen, Eierschalen geschmückt. Ein Hülsenbuschstock aber war am dekorativsten. Der Schützenhut war bunt mit Blumen verziert.

Der erste Weltkrieg unterbrach für einige Jahre die Reihe der frohen Feste. Sobald aber nach Beendigung des großen Ringens einigermaßen ruhige Verhältnisse eingetreten waren, kam der blaue Kittel wieder zu seinem Rechte. Im Jahre 1920 bereits hatte sich die uralte Tradition durchgesetzt, und, als wäre nichts geschehen, marschierten unsere Bauern im Kittel zum gewohnten Schießen um Königswürde und Fahne.

Bekannte Kapellen hatte man immer verpflichtet. Von 1907 an bis 1921 zog die Bauckloh'sche Kapelle voran, 1922/23 war es die Bückmannsche Kapelle, 1924 der Musikverein Radevormwald, 1925-27 die Feuerwehrkapelle Breckerfeld, 1928-34 der Musikverein Breckerfeld, 1935 die Kapelle der SA R 131, 1936 die SA Kapelle.

Ab den 20er Jahren werden die Teilnehmerzahlen am Umzug immer größer, bis zu 100 Mann sollen es schließlich noch vor dem 2. Weltkrieg gewesen sein. Dadurch wurden Organisationsangelegenheiten wie Bestellung großer Kapellen, Lokalfragen usw. immer umfangreicher. Beim König konnten die Feiern aus Mangel an großen Räumlichkeiten nicht immer stattfinden. Auf den Vorstand kamen mithin mehr Aufgaben zu, Sitzungen wurden häufiger. Es bot sich daher eine Arbeitsteilung an. Neben den geschäftsführenden Vorstand trat ein militärischer Vorstand, der allein für den Umzug selbst zuständig war. Diese Ergänzung in der Vereinsleitung schaffte zunächst das Amt eines Adjutanten, der dem Vorsitzenden oder Stellvertreter zur Seite steht, dann das Amt eines Hauptmanns, der mit dem Adjutanten zu- sammenarbeitet. 1936 unterscheidet man ganz deutlich den engeren Vorstand mit Vorsitzendem und Stellvertreter einerseits und dem erweiterten Vorstand mit Hauptmann und Adjutant auf der anderen Seite.

Mit den Einberufungen ab 1939 kam 1940 das Vogelschießen zum erliegen.

Nach der Oberrollung regierte die Besatzungsmacht, und es fehlte lange die Möglichkeit zu jeglichem Schießen. Immer dringender aber kam der Ruf aus den Reihen der Bauern: Wir wollen wieder unser Bauernvogelschießen feiern! Lebendig und mit Macht regte sich die schöne alte Tradition und suchte auch nach der schweren Katastrophe erneut ihren Platz im Volksleben. Ein Antrag vom 7. März 1949 an die Militärregierung brachte die Erlaubnis, zu feiern, aber nur mit einer Armbrust zu schießen. Damit war das wesentliche erreicht, die Tradition lebte wieder auf. Man beschloß also, zu feiern, sei es auch mit der Waffe, die dem sagenhaften Wilhelm Tell einstmals gedient hatte. Der langjährige Hauptmann Wilhelm Giersiepen ließ, wie gewohnt, seine Bauern zum Vogelschießen antreten. Mit ein wenig Verbissenheit und viel Breckerfelder Humor richteten sich die Blicke der Männer im blauen Kittel auf die altertümliche Waffe. Unser bewährter Büchsenwart, Hugo Ackermann, trug sie pflichtgemäß und zünftig. Was er gedacht hat, ist nicht bekannt geworden. Das Fest nahm einen sehr schönen Verlauf.

In den nächsten 3 Jahren diente ein Luftgewehr dazu, die beiden besten Schützen zu ermitteln, bis dann 1953 eine Kleinkaliberbüchse erlaubt und zur Stelle war. Es war der Wunsch aller Schützen, bald wieder mit guter Scheibenbüchse und voller Ladung den edlen Wettkampf um den besten Schuß ausführen zu können. Es fehlte etwas, wenn man nicht weithin die Schüsse vom Scheibenstand hört. Auch das gehörte zum Rhythmus dieses schönen bäuerlichen Festes.

Der nachfolgende Bericht von Robert Rutenbeck spiegelt die Stimmung wider, die zur Nachkriegszeit das Vogelschießen wieder begleitete:

"Heute wie vor 100 und 200 Jahren lebt das Fest im Volke und hat sich in seinem Ablauf während der 2 bis 3 Jahrhunderte kaum verändert.

Wochenlang vor dem Schießen bereits freut sich die Jugend auf den großen Tag. Vor allem in derjenigen Bauernschaft, die den König des Vorjahres beherbergt, regt es sich zeitig. Hier müssen je 4 Ehrendamen und Damenoffiziere vom König ernannt werden, und unsere jungen Mädchen träumen leise von dem Glück, vielleicht einmal Königin zu sein. Am Vorabend des Festes schmückt der König mit den Ehrendamen den Festsaal.

Ist der Festtag angebrochen, so treten die Bauern, alt und jung, gegen 8 oder 9 Uhr vor ihrem Lokal in Breckerfeld an. Es ist die alte "Herberge" am Marktplatz, das heute weitbekannte und sehr geschätzte Gasthaus Hückinghaus, das mindestens seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts Treffpunkt und Stammlokal der Bauernschützen war. Hier gibt es manche freudige Begrüßung. Freunde und gute Bekannte von den entlegenen Ortschaften und Höfen sehen sich wieder. Der blaue Kittel beherrscht das Straßenbild. Die Bürger des Hanse-Städtchens haben Straßen und Häuser mit frischem Grün geschmückt. Alle Schützen ziehen nun unter den Klängen der Musik zum Amtshause, um nach altem Brauch dem leitenden Gemeindebeamten Gruß und Ständchen zu bringen. Dann bewegt sich der Zug, von der Schul- jugend begeistert begleitet, durch die Straßen der Stadt und begibt sich weiter zum Hause des Fähnrichs. Oft ist der Weg recht lang. Aber viel Freude macht solcher Marsch durch die Frühlingsnatur. Sind die Schritte auch schwer von harter Arbeit der Frühjahrsbestellung, das Herz schlägt froh, und die Augen gehen befriedigt über die frischen Saaten zu beiden Seiten des Weges. Kritisch und mit Humor werden die bestellten Felder betrachtet. Die Arbeit des Landmannes ist ja für jeden sichtbar und daher dem Urteil des Vorübergehenden unterworfen. In den Ortschaften leuchten die frisch gekälkten Häuser. Vor dem Vogelschießen streicht man gern das Haus von außen, wenn der Zug den Ort berühren wird. An jeder Wirtschaft gibt es kurze Rast. Der Fähnrich spendet dem ganzen Zug Kaffee und Kuchen.

Vom Hause des Fähnrichs geht der Zug - immer mit Musik natürlich - zur Residenz des Königs. Dieser hält Brötchen und Branntwein bereit. Nach genügender Rast wird es Zeit, zum Festplatz zu ziehen. Hier wartet ein kräftiges Mittagessen. Es mundet in der Regel vortrefflich, denn die Wege in unserer Landgemeinde sind weit, und die frische Luft unserer Höhen läßt gesunden Hunger aufkommen.

Um 14 Uhr beginnt gewöhnlich das Schießen. Es wird eröffnet mit dem Ehrenschuß des leitenden Gemeindebeamten, z. Z. des Herrn Amtsrektors Lausberg.

Ihm folgen König und Fähnrich. Dann schießt zuerst die Bauernschaft des alten Königs. Nach ihr geht die Reihenfolge "rechts herum". Damit ist die seit Jahrhunderten bestehende Ordnung gewahrt. Bei unserem Vogelschießen ist eben alles fester Brauch, unabänderliche Tradition. Hängt schon der Deutsche allgemein treu am Alten, so gilt das vom westfälischen Menschen ganz besonders; und der Breckerfelder ist Westfale.

Mit großer Spannung wird das Schießen verfolgt. Oft fällt schon früh ein guter Schuß, und es bleibt während des ganzen Nachmittags die Frage: Wird noch jemand "abschießen", d. h. übertreffen? Manchmal aber fällt erst ganz spät der Königsschuß und bringt in letzter Stunde die Wendung. Spannung und Erwartung leben auch daheim bei den Alten, die nicht mehr dabei sein können. Sie denken vergangener Zeiten, und es dauert ihnen fast zu lange, bis sie erfahren, in weiche Bauernschaft Vogel und Fahne geholt werden. Die ganze Landgemeinde spürt den Atem des großen, schönen Tages.

Mit sinkender Sonne füllt sich der Festsaal mehr und mehr. Unsere Frauen und Mädchen haben die Arbeit in Küche und Stall beendet und finden sich fröhlich in Festtagskleidern ein. Sie möchten ja die Krönung noch mit erleben. Bei gutem Wetter versammeln sich die Schützen und Zuschauer auf grüner Wiese. Der Hauptmann oder Führer, wie er in alten Urkunden stets genannt wird, krönt mit kurzer Ansprache den besten Schützen. Dieser wird nach altem Brauch von den Kameraden seiner Bauernschaft auf der Schulter zum Krönungsplatz getragen. Die Ehrendamen schmücken die Brust des Königs mit dem uralten silbernen Vogel. Dieser Vogel trägt die Jahreszahl 1704 und hält an seinen Füßen, mit zwei kleinen Kettchen befestigt, eine kleine Armbrust.

Der Krönungsakt ist der Höhepunkt des Festes und von besonderer Feierlichkeit. Diese Männer im blauen Kittel wie die Frauen und Mädchen mit den klaren, offenen Blicken geben ein Bild von packender Größe, einer Größe, die in der Schlichtheit, Redlichkeit und Innerlichkeit dieser Menschen wurzelt, die noch echtes, unverfälschtes bäuerliches Wesen darstellt und lebendig zum Ausdruck bringt. Seine ganze Tiefe vermag vielleicht nur derjenige zu ermessen, der lange unter diesen Menschen lebt und ihre Gedankenweit sich zu eigen gemacht hat.

Nach der Krönung besteigt der König mit seinem Gefolge den Thron, der blumengeschmückt auf der Bühne für ihn bereitet wurde. Dann vergnügt sich alles Volk für Stunden in ungebundener Heiterkeit bei Spiel und Tanz. Erst lange nach Mitternacht lichten sich die Reihen, und gegen Morgen geben die "Treuesten" ihrem König und Fähnrich gutes Geleit bis in ihr Haus. Am Tage des Bauernvogelschießens kommt es unseren Bauern und Bäuerinnen auf einige Stunden nicht an. Dieser Tag gehört ja ihnen, und es ist ja, ach, so selten, daß sie sich in ihrem arbeitsschweren Berufe einmal einen freien Tag erlauben können.

So und nicht anders lebt in Breckerfeld seit wenigstens 275 Jahren das Bauernvogelschießen. Es ist unlöslich mit dem Bauerntume der Landgemeinde Breckerfeld verbunden. Der junge Bauernsohn wächst früh in den Gedankenkreis dieses einzigartigen traditionellen Geschehens hinein. Von Vater und Großvater übernimmt er das Wissen um Dinge, seine Augen leuchten, wenn die Alten davon erzählen, und er sehnt nur den Tag herbei, an dem er zum ersten Male im bäuerlichen Ehrenkleide, dem blauen Kittel, mit den anderen marschieren und seinen Schuß abgeben darf. Mit jeder weiteren Breckerfelder Bauern- generation ist die Tradition älter und stärker geworden. Selbst nach den unglücklichsten Zeiten des Vaterlandes wurde die alte Bauernfahne immer wieder mit gläubigem Herzen hervorgeholt und vorangetragen, und das äußere Gepräge gab stets wie einst der blaue Kittel. Die Bauernschützen sind kein Verein und wollen es auch nicht sein. Nein, sie lassen sich alljährlich gleich einem friedlichen Heerbann aufbieten und feiern, wie geheiligter alter Brauch es vorschreibt. Das Bauernvogelschießen wurde im Laufe langer Zeiträume zu echtestem Heimaterleben."

Die Jubiläumsfeier von 1954 wurde zu einem großartigen Ereignis.

 Nach dem Jubiläum von 1954 wird es üblich, im Zelt zu feiern und zwar für 2 Tage. Hieran ändert sich bis 1975 wenig. Einmal feierte man noch in den Räumlichkeiten eines Breckerfelder Wirts (Festhalle Wengeberg), aber die Säle erwiesen sich als zu klein. Die Zahl der Fest- teilnehrner ist einfach zu groß geworden.

Der Zeltplatz wechselte häufig; mal war es in Kotten, an der Breckerfelder Volksschule, auf dem Breckerfelder Sportplatz, am Brauck, am Busbahnhof. Die Feiern waren immer ein Erfolg. Beigetragen haben dazu im wesentlichen die eingeladenen Musikkapellen. Es wirkten mit (vor 1954) die Hagener Straßenbahnkapelle, die Milsper Feuerwehrkapelle und (nach 1954) die Kapelle Gustav Bauckloh aus Holthausen bei Breckerfeld, Kapelle Datum aus Voerde, Borbecker Feuerwehrkapelle, ehemalige Iserlohner Flackkapelle und schließlich die "Sauerländer".

Aber auch die Zeltveranstaltungen brachten Schwierigkeiten mit sich. Die Leihgebühren wurden immer höher und waren bald nicht mehr erschwinglich. Klagen über fehlende Heizungsmöglichkeiten wurden laut, und Eigenmächtigkeiten der Zeitwirte mußten in Kauf genommen werden.

Ab 1976 feierte man in der Scheune beim Bauern Mickenhagen-Cox auf Clevinghausen. Hier hat man sich eine ideale Feierstätte ausgestaltet und hofft, eine Bleibe für künftige Zeit gefunden zu haben.

1968 wurde die neue Fahne angeschafft und in einer Feierstunde eingeweiht. Die alte Fahne ist bei August-Wilhelm Spannagel in Verwahrung gegeben worden.

Fahnenweihe  29. März 1968

Fahnenweihe am 29. März 1968

Nach einem Beschluß aus dem Jahre 1968 haben die Unteroffiziere die Schußgelder von den Zugteilnehmern sofort einzuziehen, nicht erst später beim Königsschießen.

1969 tritt der Verein dem Westdeutschen Schützenbund bei. Dadurch ermäßigen sich die sonst für einen Einzelverein sehr hohen Gebühren für eine Haftpflichtversicherung, außerdem fallen die Tantiemen für die Gema etwas günstiger aus. Man hält den Beitritt für unbedenklich, da dies nur eine schießsportliche Organisation ist.

Auch die Teilnahme an künftigen Stadtmeisterschaften wird 1970 erwogen. Eine Mannschaft von 10 Mann sollte sich beteiligen.

Das Schußrecht wird 1970 nochmals festgelegt. Schießen darf jeder Besitzer eines Hauses oder Hofes in der Landgemeinde, soweit er eine eigene Hausnummer hat. Diese Regelung wird 1976 ergänzt; Neubaubesitzer können in den ersten 5 Jahren zwar teilnehmen, aber noch kein König werden.

1972 wird noch einmal die Verpflichtung des Königs herausgestellt, weiterhin Wagen für ältere und gehbehinderte Zugteilnehmer zu stellen.

Es ist nicht zu übersehen, daß gerade unsere Zeit eine neue, vielleicht tödliche Gefahr für bäuerliches Brauchtum heraufbeschwört. Die durch die fortschreitende Industrialisierung immer wachsende Verstädterung frißt an den wertvollsten Überlieferungen ländlichen Lebens. Manche landgebundene Tradition hat sich bereits wie auf eine einsame Insel mit Feld und Wald zurückziehen müssen. Es wird viel Wachsamkeit und ein starkes Herz der bäuerlichen Bevölkerung nötig sein, soll nicht der aufgeregte Pulsschlag der Großstadt das leise Rauschen und Klingen unseres ländlichen Brauchtums übertönen. Nur noch wenige Bereiche unseres kulturellen Lebens sind sicher vor den Folgen der Verstädterung und Überfremdung. Wir wollen uns diesem landfremden Geiste kompromißlos widersetzen und nach wie vor treu am alten Brauchtum festhalten. Wir würden mit ihm ein gutes Stück unseres Wesens preisgeben. Von entscheidender Bedeutung in dieser Entwicklung wird die Haltung der Landjugend sein. Ihr guter Geist ist unsere Hoffnung.

Mögen darum immer weitere Generationen unserer Fahne folgen, damit der blaue Kittel im bäuerlichen Leben der Gemeinde Breckerfeld stets in Ehren bleibe.


Quelle: Festschrift zum Jubiläum 1979 von Armin Voß